Gibt dir das Leben Zitronen, mach Limonade draus. Nach diesem Motto handle ich, wenn ich trotz schwieriger Umstände das Beste aus einer Situation machen will. Ziemlich oft kam dieses zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn in der Schweiz zum ‘Einsatz’. Mit meiner heutigen Funktion bin ich allerdings mehr als zufrieden: Ich bin bei terra® als Geomatiker angestellt und besuche berufsbegleitend eine Weiterbildung zum Geomatiktechniker am Bildungszentrum Geomatik Schweiz. In meinem Arbeitsalltag dreht sich das meiste um Geländemodelle. Um diese aufzunehmen, bin ich viel draussen auf dem Feld. Oft alleine, denn bei zahlreichen Aufgaben braucht man mit unseren Geräten niemanden, oder man ist zu zweit, wie beispielsweise zum Nivellieren. Im Büro zurück werte ich die Messpunkte aus und erstelle daraus ein Modell; manchmal modelliere ich anhand einer Punktwolke.
Ich bin aber nicht immer allein unterwegs. Bei manchen Aufgaben arbeiten wir zu zweit oder es begleitet mich ein Schnuppi – so nennen wir unsere Schnupperlernenden. Das erinnert mich dann immer an meine erste Zeit bei terra®, die allerdings schon einige Jahre zurückliegt.
2014 bin ich zusammen mit meinen Eltern von Syrien in die Schweiz gekommen. Obwohl ich in meiner Heimat bereits mit einem Geografiestudium begonnen hatte, war hier an dessen unmittelbare Fortsetzung nicht zu denken. Denn ich sprach und verstand damals kein einziges deutsches Wort; an der Universität jedoch wird das Sprachniveau C1 vorausgesetzt. Mit meiner Muttersprache Arabisch oder dem Bisschen Französisch und Englisch, das ich konnte, kam ich definitiv nicht weiter. Schnell war mir klar: Um hier hinsichtlich Ausbildung überhaupt einsteigen zu können, musste ich zu allererst Deutsch lernen. Berufliche Anknüpfungspunkte zu meinen Studienerfahrungen lagen nach meinen Erkundigungen am ehesten im Bereich Geomatik.
Anfänglich verstand ich zwar fast kein Wort und auch nicht, was bei terra® überhaupt gemacht wurde. Doch mit der Zeit und Dank der Mühe, die sich das terra-Team für mich genommen hat, lernte ich bald, was ein Tachymeter ist und wie ich damit eine Aufnahme mache. Mir gefiel es so gut bei terra®, dass ich am Ende meines rund zweijährigen Praktikums fragte, ob es eine Möglichkeit gäbe, in irgendeiner Form weiterzumachen respektive etwas darauf aufzubauen. Meine Begeisterung über deren Antwort – nämlich das Angebot, bei terra® zu bleiben und eine Lehre als Geomatiker EFZ absolvieren zu können – war entsprechend riesig! Dass meine Ausbildung von Anfang bis zum Abschluss erfolgreich verlief, habe ich dem ganzen terra-Team und zu einem besonders grossen Teil zwei Menschen desselben zu verdanken: Franziska Bernhart, dipl. Ingenieurin KIT Geodäsie und Geoinformatik, hat mich während aller vier Lehrjahre unterstützt. Und Simon Rickenbacher, dipl. Geomatik-Ingenieur und Leiter von terra®, hat mich durch das ganze Praktikum hindurch mit einem speziellen Angebot gecoacht: Um meine damaligen Sprachkenntnisse – ganz besonders hinsichtlich der Berufsschule – weiter auszubauen, sollte ich täglich einen zusammenfassenden Bericht in Deutsch über ein Vermessungsthema schreiben. Er, Simon, würde jeden dieser Berichte gemeinsam mit mir durchgehen und sprachlich korrigieren. Mit viel Geduld hat er das mit mir über zwei Jahre durchgezogen. Auch ich musste mich durchbeissen, doch habe ich dabei enorm viel gelernt – sprachlich wie auch fachlich!
Als ich mit der vierjährigen Lehre zum Geomatiker EFZ angefangen habe, war ich bereits 23 Jahre alt. Dass meine Berufsschulkolleginnen und -kollegen 16jährige Teenager waren, machte es etwas schwierig. Denn obwohl mich die meisten meiner Klasse von Anfang an gut aufgenommen hatten, war ich dennoch für viele ‘Baba Abdu’, eine Vaterfigur. Doch ich hatte mich für die Lehre entschieden, wollte diese unbedingt durchziehen, um einen Abschluss in der Hand zu haben. Für das ‘Alters-Problem’ fand ich eine Lösung, die ganz gut funktionierte: Ich verhielt mich während der Schultage wie meine jungen Klassenkameraden und -kameradinnen und führte in der restlichen Zeit mein Erwachsenenleben. Lustig war, dass es ihnen gegen Ende der Lehre dämmerte und sie meinten, wie furchtbar ihr früheres, doch sehr kindliches Verhalten für mich gewesen sein müsste.
In meiner Freizeit fahre ich gerne Velo, gehe regelmässig schwimmen und geniesse das Zusammensein mit meiner grossen Familie wie auch mit meinen neuen Schweizer Freunden. So fühle ich mich auch hier, trotz der vielen Unterschiede zu meiner syrischen Heimat, richtiggehend zuhause.